Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch Taucha und an allen Ecken und Enden blühen Blumen, Sträucher und Bäume, zwitschern die Vögel und Insekten laben sich am reichen Angebot. Sie probieren Obst der Gemeinde oder naschen Erdbeeren vom Kübel am Markt. Auf dem Weg zur Kita laufen Sie mit Ihrem Kind an Blumenwiesen vorbei und Sie müssen mehr Zeit einplanen, weil so viel zu beobachten ist. Träumt weiter, werden die meisten sagen. Das geht doch nicht. Doch, das geht, wissen wir jetzt. Wie, das haben uns Gäste aus dem oberschwäbischen Bad Saulgau bei einer Online-Veranstaltung der Klima-Initiative Taucha berichtet.

Mit hoher Sachkenntnis und erfrischender Leidenschaft gaben der Umweltbeauftragte von Bad Saulgau, Thomas Lehenherr, und der Stadtgärtner Jens Wehner uns einen anschaulichen Überblick, wie es die Stadt geschafft hat, die natürliche Umgebung zu schützen und selbst stadteigenes trauriges Alltagsgrün in naturnahe, artenreiche und insektenfreundliche Flächen umzuwandeln. Das Konzept beruht auf fünf Säulen.

Fünf Säulen für das Gesamtkonzept

  • Naturlehrpfade/Wanderwege
  • Gewässer-Renaturierung
  • Biotop-Anlagen, -Verbünde
  • Innerstädtische Umwandlung von Einheitsgrün in Artenreichtum
  • NaturThemenPark

Inzwischen ist die 18.000 Einwohner zählende Stadt mit ihrer Biodiversitätsstrategie vielfach ausgezeichnet und über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Ehe es soweit war, hat es allerdings 30 Jahre gedauert, viel Geduld und Engagement. Herr Lehenherr und auch Herr Wehner sind die Entwickler des Prozesses und von Anfang an dabei. Und es gibt immer neue Ideen. Biodiversität avancierte inzwischen zum wichtigsten Marketingfaktor der Stadt.

Das ausführliche Konzept der Stadt ist hier nachzulesen:

https://www.bad-saulgau.de/tourismus/natur

Nach ihrem Vortrag beantworteten die beiden Experten Fragen der rund 20 Teilnehmer*innen. Dabei ging es ums Gesamtkonzept, um gezahltes Lehrgeld aber auch um konkrete Tipps zu Saatgutmischungen für Blumenwiesen.

Wesentliche Fragen und Antworten haben wir hier in Stichworten wiedergegeben:

Wie gelingt es, die Stadtbevölkerung einzubeziehen?

Öffentlichkeitsarbeit von Beginn an mit Schwerpunkt Umweltbildung: regelmäßige Umwelt-Berichterstattung in Presse und Amtsblatt; Umweltveranstaltung „Happy Family Day“ mit 15.000 – 20.000 Besuchern jährlich

Jährliche Naturwandertage; Volkshochschulkurse; Kindersommerveranstaltungen (z.B. Ökomobil); Umweltaktionen mit Schulen, Kindergärten; Zusammenarbeit mit Gewerbebetrieben, Landwirtschaft, Flurbereinigung, Umwelt- und Naturschutzbehörden; kostenlose Gartenfibel zur naturnahen Gartengestaltung „natürlich gut gestaltet“.

Ansehen, kosten und probieren: möglich beim Projekt „essbare Stadt“, am „Obstbaumpfad“ oder dem „Beerenobst-Pfad“ und dem „Apothekergarten“
(weniger geklaut als vorher)

Zehn interaktive Erlebnisprojekte: Bsp. Vogelstimmentafel, Kinderspielplätze Biberkletterburg und Matschplatz, Erlebnisweg Wasser

Wie nimmt die Bauleitplanung der Stadt Einfluss?

Überzeugung allein nicht ausreichend, Vorschriften in der Bauleitplanung nötig: Verbot von Schottergärten (landesweit), Für Neubau Vorschriften zu Pflanzgeboten (Pflanzlisten, Gartenfibel), Dachbegrünung, Fassadenbegrünung; zwei Mitarbeiter*innen der Stadt für die Durchsetzung verantwortlich; Personal zur Kontrolle bleibt aber auch hier ein Problem, z.B. bei der Durchsetzung der Baumschutzordnung

Wie entwickeln sich die Kosten für das Projekt?

Ökologisch sinnvoll ist auch ökonomisch sinnvoll; Höhere Kosten bei der Umwandlung der Flächen und für Erstbepflanzungen und Saatgut;

Später hohe Kosteneinsparungen, weil kein Geld für Pestizide, Dünger und Wechselbepflanzung im Frühjahr/Sommer/Herbst anfallen; statt zehnfach und mehr im Jahr Rasenflächen zu mähen, werden Blumenwiesen nur zweimal jährlich gemäht; Trockenheitstaugliche Pflanzflächen müssen nicht gegossen werden.

Gesamt: Obwohl sich die zu bewirtschaftete Fläche in Bad Saulgau in den 30 Jahren verdoppelte, halbierten sich die Kosten und die Personalstärke blieb gleich.

Auch in Sachsen: LEADER-Vorhaben "Blühende Grünflächen"

Nachtrag: Nicht weit weg von uns, im Nordwesten des Landkreises Meißen, wurde u.a. vom aktuellen Klimaschutz-Manager des Landkreises Leipzig Falko Haak in den Jahren 2019/2020 das LEADER-Vorhaben "Blühende Grünflächen" realisiert, von dem interessante Materialien frei zugänglich sind:

 

Ein Video, das auf die Umsetzung des Vorhabens zurückblickt: